Hier finden Sie in regelmäßigem Ausbau Andachten und Predigten zu Lesen.
Wir danken Pfarrer i.R. Eckhard Dierig dafür, dass er uns seine Texte und Bilder zur Verfügung stellt.

Pfarrer Dierig war bis vor zwei Jahren Gemeindepfarrer in Kirchen/Sieg und hat in der Vakanzzeit zwischen Pfarrerin Köhler und Pfarrer Ott zusätzlich in unserer Gemeinde gewirkt. Heute lebt er mit seiner Familie in Norddeutschland und genießt es, nun Muße und Zeit zu haben um theologisch zu arbeiten. Gerne kombiniert er seine Texte mit Bildhaftem aus seinem reichen Foto-Archiv.

 Damit Sie bei Interesse alle Texte nachlesen können, finden Sie die neuesten Texte immer oben, die anderen Texte wandern nach unten!

Pfingsten 2023

Text:   Apostelgeschichte 2 i. A.

Liebe Leserinnen und Leser,

was Weihnachten und Ostern bedeuten, ist den meisten Menschen in unserem Land auch heute noch einigermaßen bekannt. Aber wenn nach Pfingsten gefragt wird, zuckt mancher Zeitgenosse mit den Schultern, obwohl Pfingsten zu den drei großen Festen der Christenheit gehört!

Ganz vereinfacht könnte man die Frage nach dem Pfingstfest so beantworten: Am Pfingstfest feiert die Kirche ihren „Geburtstag“. Die „Geburt“ bzw. die Entstehung der Kirche wird uns in der Apostelgeschichte des Lukas mit folgenden Worten geschildert:

Als das Pfingstfest gekommen war, waren alle Jünger am selben Ort versammelt. Plötzlich gab es ein gewaltiges Rauschen. Gleichzeitig sahen sie etwas wie Flammenzungen, die sich verteilten und sich auf jedem Einzelnen von ihnen niederließen. Alle wurden vom Geist Gottes erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden; jeder sprach so, wie der Geist es ihm eingab.

Erstaunt fragten sich die Menschen, die das hörten, was das zu bedeuten habe.

Da trat Petrus vor die Menge und erklärte:

„Hört zu: Hier geschieht genau das, was Gott durch seine Propheten angekündigt hat, als er sagte: ‚Am Ende der Zeit werde ich meine Geist ausgießen über alle Menschen, die mir dienen, und sie werden prophetisch reden.‘ Bei dem, was ich euch zu sagen habe, so fuhr Petrus fort, geht es um Jesus von Nazareth. Er wurde von Gott aus der Gewalt des Todes befreit und zum Leben erweckt. Er wurde zum Ehrenplatz an Gottes rechter Seite erhoben und erhielt von seinem Vater den Heiligen Geist. Diesen Geist hat er nun über uns ausgegossen und was ihr hier seht und hört, ist die Wirkung dieses Geistes!“

Die Zuhörerinnen und Zuhörer waren von dem,. was Petrus sagte, bis in innerste getroffen und sie fragten Petrus, was sie jetzt tun sollten. Petrus antwortete: „Kehrt um und lasst euch taufen auf den Namen von Jesus Christus. Dann wird Gott eure Schuld vergeben und euch seinen Geist schenken.“

Viele ließen sich daraufhin taufen, so dass an diesem Tag etwa dreitausend Menschen zur Gemeinde hinzukamen.

Wenn wir Pfingsten als den Geburtstag der Kirche verstehen, dann müssten wir uns eigentlich fragen, welches Geschenk wir dem Geburtstagskind denn mitbringen könnten. Unsere Zeit vielleicht, unser Interesse, unser Geld? Das wären sicher mögliche Geschenke.

Was aber klar ist: Wir, die Geburtstagsgäste, bekommen auf jeden Fall an diesem Tag etwas geschenkt! Im Anschluss an die eigentliche Pfingsterzählung werden gleich  vier solcher Geschenke aufgeführt:

 Was das Leben der Christen prägte, waren die Lehre, in der die Apostel sie unterwiesen, ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft, das Mahl des Herrn und das Gebet.

Das erste Geschenk besteht in der „Lehre der Apostel“. Sie, die Jünger Jesu (später wurde auch noch Paulus zu den Aposteln gezählt), mussten anfangs vermutlich nichts anderes tun, als zu erzählen, was sie von Jesus wußten. Und offenbar begriffen die Menschen plötzlich, dass die Geschichten von Jesus etwas anderes waren als die tausend anderen Geschichten, die sie täglich hörten. Es waren nämlich Geschichten vom Himmel, und es waren zugleich Geschichten vom Leben, ja es waren nicht zuletzt auch Geschichten vom ewigen Leben. Und während die Apostel den Menschen davon erzählten, ging der Himmel über ihnen auf.

Eine schwerhörigen Frau erzählte einmal, die Hörfähigkeit ihrer Ohren habe sich nach einer  Operation „um acht Meter erhöht“. Bei manchen Patienten, so erzählte sie, habe die Operation nur eine Verbesserung „um zwei, drei Meter gebracht, bei anderen aber sogar um fünfundzwanzig Meter.“

So ging es wohl auch den ersten Christen in Jerusalem nach dem Pfingstfest: Plötzlich konnten sie hören, weiter hören als bisher in ihrem Leben, aber nicht nur einige Meter weiter, sondern sie konnten hören „bis zum Himmel“! Und dieser Himmel kam ihnen ganz nahe durch die Lehre der Apostel.

Das zweite Geschenk ist die Gemeinschaft, die die Christen untereinander hatten. Die junge Christengemeinde hatte am Pfingsttag eines verstanden: Man kann den persönlichen Glauben an Gott nicht loslösen von der Gemeinschaft mit anderen Christinnen und Christen! Es gibt auf Dauer keinen Glauben ohne Kirche, Gemeinde oder Gemeinschaft, weil er sonst verkümmert. Christsein heißt, mit anderen teilen: Erfahrungen, Zweifel, Freude, Trauer, kurz: das Leben.

In einer solchen vom Glaube geprägten Gemeinschaft, konnten die Gemeindeglieder  das Gegeneinander von Besitzenden und Besitzlosen nicht mehr ertragen. Und sie konnten das harte Nebeneinander von Hunger und Überfluss nicht mehr hinnehmen. Es war ihnen mit einem Mal unmöglich, das, was sie besaßen, nicht miteinander zu teilen. Kein anderer als der Geist Gottes konnte solch ein Wunder bewirken!

Welche Wunder brauchte unserer Zeit wohl am meisten? Und was müssten wir tun, um dem Geist Gottes dabei nicht im Weg zu stehen?

Das dritte Geschenk ist das Brotbrechen, wir würden sagen: das Abendmahl. Die ersten Christen feierten es täglich. Sie brauchten es auch täglich. Kein Tag verging ohne gemeinsames Mahl. Dieses Mahl war für sie ein „Essen und Trinken mit dem Herrn“. Ein Tag ohne die Mahlfeier war für sie deshalb wie ein Tag ohne den Herrn. Die Corona-Pandemie hat die Anzahl der Abendmahlsfeiern sehr stark reduziert. Langsam beginnt man nun wieder damit. Vorsicht ist geboten, aber wenn man diese Vorsicht walten lässt, können wir uns über das Geschenk des Abendmahls wieder freuen. Es erinnert uns an Jesu Leiden und Sterben, stärkt unsere Gemeinschaft und lässt und die Vergebung unserer Schuld spürbar werden.

Das vierte Geschenk ist das Gebet. Die Christen beteten damals anders als wir: intensiver, öfter, aber auch nicht so heimlich, wie wir es heute manchmal tun. Das Beten war ihn wichtig, weil für das Beten in gewissem Maß dasselbe gilt wie für das Christsein allgemein: Niemand kann es auf Dauer und ausschließlich allein. Zwar gibt es auch das Gebet im stillen Kämmerlein, und das ist gewiß sehr sinnvoll und hilfreich. Aber es tut auch gut, miteinander im Gebet verbunden zu sein, und sei es nur beim gemeinsam gesprochenen Vaterunser im Gottesdienst.

Das also sind Gottes Geburtstagsgeschenke an  uns, seine Gemeinde: Lehre, Gemeinschaft, Abendmahl und Gebet.

Damit hat Gott seine Gemeinde damals reich beschenkt! Aber wie sieht es mit uns heute im Jahr 2023 aus? Die vier Geschenke sind auch Geschenke für uns, denn was Gott damals verschenkt hat, ist noch lange nicht „aufgebraucht“. Gottes Geschenke haben kein Verfallsdatum, sie halten eine Ewigkeit vor.

Der Kirche wird heute von Pessimisten ihr baldiges Ende vorausgesagt. Sicherlich muss sich die Kirche verändern, von Grund auf vielleicht. Aber sie wird weiterleben, trotz aller menschlichen Schwächen. Sie wird weiterleben, wenn Gottes „Geschenke“ nicht in Vergessenheit geraten, und wenn sie dem Geist Gottes Raum gibt. In dieser Zuversicht können wir getrost den Geburtstag unserer Kirche feiern!

Amen.

 

Himmelfahrt 2023

Text: Lukas 24, 50-52

Liebe Leserinnen und Leser,

Juri Gagarin war der erste Mensch im Weltraum: 1961 umrundete er in 108 Minuten die Erde. Zu seinen Ehren, so erzählte man sich damals, wurde in Moskau ein großer Empfang gegeben. In einem unbemerkten Augenblick nahm der damalige russische Ministerpräsident Chruschtschow den Helden des Tages beiseite und sagte: „Genosse, ganz ehrlich: Hast du da oben, du weißt schon was ich meine, hast du Ihn dort gesehen?“ „Ich habe ihn gesehen, Genosse.“

„Schlimm“, murmelte Chruschtschow, „aber halb habe ich mir das schon gedacht. Aber- du darfst auf keinen Fall jemandem ein Sterbenswörtchen davon sagen!“ Gagarin nickte.

Auch der Patriarch der orthodoxen Kirche war zu dem Empfang eingeladen. Kurze Zeit später nahm auch er Gagarin beiseite und flüsterte: „Mein Freund, sag mir ganz im Vertrauen: Hast du Ihn dort oben gesehen?“ „Nein“, sagte Gagarin befehlsgemäß. „Ach“, seufzte der Patriarch, „wie schade, aber halb habe ich mir das schon gedacht…“

In solchen Anekdoten steckt oft mehr Weisheit, als in mancher langen Rede. So ist es auch hier: Neben der auf den ersten Blick oberflächlichen, lustigen Seite der kleinen Szene gibt es mindestens zwei ganz ernsthafte Aspekte:

Zum einen können auch fromme Menschen Schwierigkeiten in Glaubensfragen haben, sie können unsicher werden und anfangen zu zweifeln. Und auch die Zweifler und Skeptiker sich ihrer Sache oft nicht wirklich sicher…

Zum anderen wird durch diese Anekdote auch deutlich, wenn es überhaupt noch einer Bestätigung bedürfen würde, dass es ausgeschlossen ist, mit technischen Mitteln etwas über die Existenz Gottes herauszubekommen oder ihn gar in dem Bereich, den wir „Himmel“ nennen, zu finden.

Der Name des heutigen Feiertages, Christi Himmelfahrt, hat sicher zu dem Missverständnis beigetragen, Gott sei an einem bestimmten Ort zu finden und der sei irgendwo über den Wolken. In anderen Sprachen gibt es mehrere Übersetzungsmöglichkeiten für das deutsche Wort „Himmel“. Im Englischen etwa stehen dafür die Worte „sky“ und „heaven“. Warum ist das so? Weil mit dem Wort „Himmel“ zwei ganz unterschiedliche Dinge gemeint sind, zum einen tatsächlich der Bereich „über den Wolken“, zum andern aber der Bereich der Gegenwart Gottes.

Himmelfahrt bedeutete demnach nicht, dass Jesus irgendwo in der Stratosphäre zu finden sei. Aber was bedeutet es dann?

Im Lukasevangelium wird die Himmelfahrt Christi wie folgt „beschreiben“:

 

Jesus führte seine Jünger bis in die Nähe von Betanien. Dort erhob er die Hände, um sie zu segnen.

Während er sie noch segnete, wurde er von ihnen weggenommen und zum Himmel emporgehoben.

Die Jünger warfen sich nieder und beteten ihn an. Dann kehrten sie nach Jerusalem zurück, von großer Freude erfüllt.

 

Die Jünger müssen Abschied von Jesus nehmen, das ist nicht leicht für sie. „Abschied ist ein bißchen wie sterben“, sang einst Katja Ebstein in dem gleichnamige Lied und das Volkslied behauptet „Scheiden tut weh…“, Scheidungen noch mehr, der Seele und dem Geldbeutel, es gibt Abschiede auf Zeit und solche ohne Wiederkehr.

Jesus trennt sich von seinen engsten Anhängern. Trauer und Tränen müssten eigentlich die Reaktion sein, schließlich haben die Jünger ihren „Meister“ ja doch geliebt und verehrt. Lukas schreibt aber, dass die Jünger „von großer Freude erfüllt“ nach Jerusalem zurückkehrten. Wieso? Lag es allein an der Verheißung des Heiligen Geistes, den Jesus ihnen versprochen hatte?

Vielleicht haben die Jünger in diesem Moment auch noch nicht wirklich realisiert, was es bedeuten würde, wenn Jesus nicht mehr da wäre. Möglich wäre es aber auch, dass sie Jesus einfach „nur“ vertraut haben, hatten sie doch schon so oft Wunderbares mit ihm erlebt. Da musste er doch auch in der Zukunft Gutes für sie bereithalten.

Wer Christus bzw. seinem himmlischen Vater vertraut, der kann auch heute fröhlich darauf hoffen, dass eine gute Zukunft für ihn bereitsteht. Darum sind die Jünger bei allem Abschiedsschmerz fröhlich. Gustav Heinemann, der dritte Bundespräsident Deutschlands, hat einmal gesagt: „Die Herren dieser Welt gehen, aber unser Herr kommt!“ So haben es die Jünger vielleicht auch gesehen. Denn was da geschah, als Christus in den Himmel aufgenommen wurde, das hatte noch eine ganz andere Bedeutung als nur „Abschied“: Vermutlich erinnern Sie sich noch gut an die feierliche Krönung von Charles III zum neuen britischen König. Sie fand am 6. Mai 2023 in der Westminster Abbey statt, ein Riesenereignis, dem Millionen Menschen an den Fernsehgeräten beiwohnten. In ähnlicher Weise wir am Himmelfahrtstag Christus zum Herrscher eingesetzt, aber nicht zum Herrscher über das britische Empire, sondern zum Herrn der Welt. Dadurch, dass er auffährt in den Himmel, also in den Bereich Gottes, wird er von Gott bestätigt als sein Sohn: „Jesus Christus herrscht als König…“, singt die Gottesdienstgemeinde nun. Der, der gerade noch am Kreuz den Verbrechertod starb, wird nun von Gott anerkannt, seine  Königsherrschaft beginnt. Deshalb freut sich die Christenheit an diesen Tag!

Zugleich erinnert diese Königsherrschaft Christi aber auch an seinen Herrschaftsanspruch in allen Bereichen unseres Lebens: im Bereich der Arbeit und der Freizeit, im Alltag und am Sonntag, in der Freizeit und der Politik.

Das Himmelfahrtsfest hat aber noch einen weiteren Aspekt, und der hat mit Gottes Unverfügbarkeit zu tun. Jesus wurde oft von Menschen bedrängt, die etwas von ihm wollten, die ihn etwa zu einem weltlichen König machen wollten oder zu einem Führer im Aufstand gegen die Römer.

Vom Himmelfahrtstag an ist es deutlich und eindeutig, dass wir Jesus in dieser Form nicht mehr zur Verfügung haben, dass wir ihn nicht mehr ohne Weiteres vor unseren Karren spannen können. Er ist und bleibt unverfügbar für jeden, der ihn für seine Zwecke missbrauchen will. Als Zeichen solcher Unverfügbarkeit werden am Himmelfahrtstag in manchen Gemeinden sogar die Osterkerzen gelöscht…

Nicht zuletzt geht es am Himmelfahrtstag um Grenzüberschreitungen. Grenzen engen den Menschen ein. Viele Grenzen von früher sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten verschwunden, z. B. im Bereich der Mode oder der Moral. Andere Grenzen bleiben bestehen oder werden sogar neu aufgerichtet: zwischen Arm und Reich, Ost und West, Russland und der Nato, um nur einige Beispiele zu nennen. Himmelfahrt macht deutlich: Für das Wirken Jesu gibt es keine Grenzen, nichts kann ihn einengen, sein Wille soll geschehen „wie im Himmel, so auf Erden“. Am Himmelfahrtstag segnet Jesus seine Jünger, und diejenigen, die er segnet, gehören schon jetzt in den Bereich dieses Gottes und dürfen für Andere zum Segen werden.

Vielen Menschen feiern an Christi Himmelfahrt nur noch den „Vatertag“. Als Vorwand für Trinkgelage ist das sehr traurig, aber man könnte vielleicht Vatertag im geistlichen Sinn feiern: Am Himmelfahrtstag hat Gott, unser himmlischer Vater, seinen Sohn zu sich genommen und damit bestätigt, dass das Wesen Jesu sein Wesen ist, die Liebe Jesu seine Liebe, die Taten Jesu seine Taten. Der Vater lässt seinen Sohn zum Segen für uns alle werden. In diesem Sinne kann man an „Christi Himmelfahrt“ auch Vatertag feiern…

Amen.

 

 

 Rogate 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

vor einer Woche hat ein Angreifer in der texanischen Stadt Allen acht Menschen getötet, darunter Kinder. Vorfälle dieser Art kommen in den USA häufig vor und die politischen Reaktionen sind Routine geworden. So twitterte der texanische Senator Ted Cruz: „Meine Frau Heidi und ich beten für die Familien der Opfer dieses grausamen Angriffs.“ Ein Befürworter schärferer Waffengesetze schrieb daraufhin: „Du hast doch geholfen, ihn zu bewaffnen. Du hast genau gewusst, was er tun würde. Erspar uns deine Gebete…“

Diese Reaktion ist auf dem Hintergrund zu verstehen, dass sich der Senator kurz vorher über einen Politiker lustig gemacht hatte, der Kritik an den laxen Waffengesetzen in Texas geäußert hatte, und dass er angeblich Hunderttausende Dollar von Organisationen erhalten hatte, die sich für schwache Waffengesetze einsetzen. (laut Spiegel-online vom 8. 5. 2023)

Wer das hört, könnte meinen, dass das Gebet in diesem Fall vom eigentlichen Problem ablenken sollte und nicht mehr als ein Floskel war. Aber nur deshalb, weil jemand ein Gebet missbraucht und es offenbar nicht mit seinem Leben und seinen Taten übereinstimmt, muss man das Beten ja nicht grundsätzlich ablehnen. Was hat es also mit dem Beten auf sich und worum geht es, wenn wir uns im Gebet an Gott wenden?

Der Evangelist Lukas berichtet, dass die Jünger Jesu vor ähnlichen Fragen standen und sie Jesus eines Tages baten, ihnen Anweisungen für das Beten zu geben. Als Beispiel für ein gutes Gebet nannte Jesus ihnen das Vaterunser. Aber er erzählte den Jüngern auch eine Geschichte über das Beten:

Angenommen, du hast einen guten Freund. Mitten in der Nacht sucht er dich auf und fragt: „Kannst du mir bitte ein paar Scheiben Brot leihen? Ein Bekannter von mir hat auf seiner Reise unerwartet bei mir Halt gemacht, und ich habe nichts, was ich ihm anbieten könnte.“ Und angenommen, du riefest dann von drinnen: „Lass mich doch in Ruhe! Die Tür ist abgeschlossen und wir sind alle längst im Bett. Ich kann jetzt nicht aufstehen und dir etwas geben.“ Ich sage dir: Du wirst es schließlich doch tun und ihm geben, was er braucht, wenn nicht um eurer Freundschaft willen, dann weil er dir keine Ruhe lässt.

Voraussetzung, einen solche Situation zu erleben, ist erst einmal, überhaupt einen Freund oder eine Freundin zu haben, ansonsten kann man die Geschichte kaum nachvollziehen.

Freunde zu haben ist wichtig, nicht nur, um sich nachts ein paar Schnitten Brot oder eine Flasche Bier borgen zu können. Freundinnen und Freunde sind da, um reden zu können, um neue Einsichten zu gewinnen, um Helfer in der Not zu haben. Unser Leben wird reicher durch wahre Freundschaften.

Haben wir eigentlich genug Freunde oder Freundinnen?

Und sind wir für Andere gute Freunde oder Freundinnen?

Und in der Gemeinde, sind wir da gute Freunde füreinander?

In der Geschichte Jesu geht es in besonderer Weise um die Beharrlichkeit des Freundes. Er lässt nicht locker, bittet immer wieder um Hilfe, bis es dem Anderen schließlich zu bunt wird und er die nächtliche Bitte erfüllt. Vielleicht können wir aus der Beharrlichkeit des Freundes etwas über das Betens lernen: Nicht so schnell aufzugeben, nicht den schnellen „Erfolg“ jetzt und sofort zu suchen. Tatsächlich ist der Rat, den Jesus seinen Jüngern bezüglich des Betens gibt, ganz nahe bei dem beharrlichen Freund:

Bittet und es wird euch gegeben;

sucht, und ihr werdet finden;

klopft an, und es wird euch geöffnet.

Denn wer bittet, der empfängt,

wer sucht, der findet,

und wer anklopft, dem wird geöffnet.

Bitten, suchen, anklopfen, alles drei Tätigkeitsworte, das klingt nach Aktion, nach Taten, jedenfalls nicht danach, die Hände in den Schoß zu legen und Gott alles machen zu lassen. Beten ist noch nie ein Ersatz für das eigene Tun gewesen, im Gegenteil: Jochen Klepper stellt in seinem Lied „Der Tag ist seiner Höhe nah“ den richtigen Zusammenhang her: „Die Hände, die zum beten ruh’n, die macht er (Gott) stark zur Tat.“

Beides gehört untrennbar zusammen: aktive Weltgestaltung und das Gebet. Ganz ähnlich klingt das bekannte Motto des Benediktinerordens: ora et labora, bete und arbeite.

Wie ein Freund wird sich Gott freuen, uns helfen zu können, nicht aber unsere Arbeit zu machen. Und wie ein Freund ist Gott kein Automat, in den wir oben unsere Wünsche hineingeben und unter die Erfüllung herauskommt.

Um was aber dürfen wir Gott bitten? Grundsätzlich um alles, auch um die kleinen Dinge im Alltag, um Kraft und Mut für unserer Aufgaben, um Fantasie und gute Nerven bei den Kindern, am Arbeitsplatz oder in der Schule. Es hilft schon, wenn ich mir darüber klarwerde, dass ich Gott meine Sorgen anvertrauen darf und natürlich auch das, was mich froh macht. Und es verändert mich, wenn ich bete: Da drängelt hinter mir ein Porsche auf der Autobahn, ich fühle mich unsicher, fahre schneller als gewollt, mein Blutdruck steigt. Wenn der Fahrer endlich an mir vorbeizieht, kann ich eine Fluch ausstoßen, was aber meist nicht viel ändert. Wenn ich aber Gott bitte: Lass auch ihn gesund zu Haus ankommen, dann hat sich in mir schon viel verändert. Da ist kein Hass mehr, allenfalls noch Unverständnis über so viel Rücksichtslosigkeit.

Aber das Gebet muss sich darauf nicht beschränken. Martin Luther schreibt.

„Ein Tor ist der, die einen königlichen Wunsch frei hat, und sich eine Bettlersuppe wünscht.“

Dürfen wir Gott also bitten um den Weltfrieden? Ja aber das darf uns nicht davon abhalten, uns um ein friedliches Miteinander zu bemühen.

Dürfen wir um die Bewahrung der Schöpfung bitten? Ja, aber das darf uns nicht davon abhalten, schon hier und jetzt zu tun, was wir dafür tun können.

Dürfen wir um volle Gottesdienste bitten? Ja, aber das darf uns nicht davon abhalten, alles was in unserer Macht steht dafür zu tun, dass sie einladend und offen sind.

Zum Schluss steigert Jesus das Bild von einem Freund durch das Bild von einem Vater, von seinem Vater:

Welcher Vater würde seinem Kind wohl eine Schlange geben, wenn es ihn um einen Fisch bäte? Oder einen Skorpion, wenn es ihn um ein Ei bäte? Wie viel mehr wird dann der Vater im Himmel denen, die ihn darum bitten, den Heiligen Geist geben?!

Das Vertrauen von Kindern zu ihren Eltern ist in der Regel fast unbegrenzt. Durch die Worte Jesu werden wir eingeladen, ein solches Vertrauen auch zu Gott zu wagen. Jesus sagt uns zu, wenn wir Gott darum bitten würden, würde er uns den Heiligen Geist geben. Vermutlich wären unsere Bitten eher in die Richtung Freude, Frieden im Herzen, Zufriedenheit, vielleicht Gesundheit.

Aber Gott will uns seinen Geist schenken. Das ist vermutlich mehr, als wir zu bitten gewagt hätten. Gottes guter Geist ist schließlich die Art, wie er unter uns und bei uns sein will. Der Geist Gottes kann unser Tun und Reden beflügeln. Durch diesen Geist und in diesem Geist können wir die Welt und unser Leben im Sinne Jesu und seines himmlischen Vaters gestalten. Nicht weniger als diesen Geist, nicht weniger als sich selbst will Gott also denen geben, die darum bitten. Welch große Verheißung!

Amen.

 

Kantate 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn man die meiste Zeit seines Lebens zwischen Westerwald und Siegerland zugebracht hat, weiß man, was Wasser bedeutet: häufige Regenfälle, manchmal unerwartet starker Regen, Bäche und Flüsse, die über die Ufer treten usw. Dennoch hat sich meine Einstellung zum Wasser, seitdem unser Lebensmittelpunkt unmittelbar an der Nordsee liegt, grundlegend geändert. Das Wasser, von oben, von unten und vom Meer her, hat hier eine ganz andere, eine existenzielle Bedeutung für die Menschen:

Wir wohnen einen halben Meter unter dem Meeresspiegel, wären die Deiche nicht da, wäre hier alles überschwemmt. Dasselbe würde passieren, wenn das Land hier nicht ständig entwässert würde. Um die Grundstücke herum sind seit Generationen Gräben gezogen worden, über deren Bedeutung ich mir vorher nie Gedanken gemacht habe. Sie sind lebensnotwendig für die Entwässerung dieser Gegend und notwendig für Vieh und Fische.

Dort, wo ich jetzt wohne, ist früher einmal Wasser gewesen, das Land haben die Menschen dem Meer abgerungen, große Sturmfluten haben das Land zuvor zerklüftet und Zehntausenden Menschen den Tod gebracht.

Und was es für die Zukunft bedeutet, dass der Meeresspiegel immer weiter ansteigt, ist noch nicht absehbar.

Und doch wird Wasser zum Leben gebraucht für Menschen, Tier und Pflanzen. Die Trockenperioden, die Europa schon in diesem Jahr heimgesucht haben, legen  Zeugnis ab von er Wichtigkeit und Notwendigkeit von Wasser. Und vielleicht werden wir Wasser zukünftig auch dazu brauchen, um unsere Moore zu vernässen, um etwas und für den Klimaschutz zu tun…

Wasser ist also zu mindestens an der Nordseeküste etwas, das Leben der Menschen maßgeblich bestimmt.

In der Bibel wird von einem Mann erzählt, dessen Leben von Anfang bis Ende vom Wasser bestimmt war, nämlich von Mose:

Als Mose, der Israelit, in Ägypten geboren wurde, gab es dort grausame Menschen, die der Meinung waren, es gäbe zu viele kleine israelische Jungen. Sie ließen sie daher einfach umbringen. Da sagte sich die Mutter von Mose: „Ich muss den Kleinen verstecken, damit sie ihm nichts antun können!“ Sie schnitt am Ufer eines Flusses Schilfgräser ab und machte daraus ein kleines Körbchen mit einem Deckel. Die untere Seite verschmierte sie mit Pech, damit kein Wasser eindringen konnte. Dann legte sie den kleinen Moses in das Körbchen, verschloss es mit dem Deckel, setzte das Körbchen mit dem Kind auf das Wasser und flüsterte: „Gott, dir vertraue ich nun mein Kind an, beschütze es!“ Da erlebte der kleine Junge zum ersten Mal, dass Wasser ihn trug.

Das Körbchen schwamm langsam dahin, bis zu einer schönen grünen Wiese. Dort spielte eine Königstochter mit ihren Freundinnen. Plötzlich entdeckten sie das Körbchen. Als sie aus dem Körbchen ein leises Weinen hörten, fischten sie das seltsame Schiffchen aus dem Wasser und sagten: „Weil wir ihn aus den Wasser gezogen haben, soll er ‚Mose‘ heißen.“ „Mose“ bedeutete nämlich in der Sprache jener Mädchen so viel wie „aus-dem-Wasser-gezogen“.

Jahre vergingen, Mose war ein Mann geworden, aber immer noch gab es Menschen, die andere quälten, die vor allem die Israeliten bedrückten und unterjochten. Da sagte Mose eines Tages zu den unterdrückten Menschen: „Ich will nicht, dass ihr das noch länger ertragen müsst! Lasst uns in ein fernes Land fliehen, das Gott uns schenken will.“ „Wie sollen wir entkommen?“ sagten die Gequälten, „An der Grenze ist ein großes Wasser. Wie sollen wir da hindurch kommen?“ Mose antwortete: „Gott hat gesagt: ‚Fürchte dich nicht, wenn Du durchs Wasser musst, will ich bei dir sein, dass dich die Fluten nicht ertränken sollen.‘“ Und so geschah es: Sie zogen durchs Wasser- und die Wasserfluten konnten ihnen nichts anhaben. Die grausamen Verfolger aber ertranken in den Fluten.

Jenseits des großen Wassers war eine trockene Wüste.

Viele Tage lang wanderten die geflohenen Israeliten und litten in der Hitze furchtbaren Durst. „Wenn wir überleben wollen, brauchen wir Wasser!“, seufzten sie. Mose antwortete: „Gott kann uns Wasser des Lebens schenken, auch mitten in der Wüste.“ Er schlug mit seinem Stab an einen Felsen, da sprudelte Wasser hervor. Sie schöpften mit beiden Händen und tranken das „Lebenswasser“ in vollen Zügen.

Der Weg durch die Wüste wurde immer beschwerlicher, aber schließlich sahen die Menschen das Ziel ihres Weges, das Land, das Gott ihnen schenken wollte. Grüne Wiesen gab es da, bunte Blumen, Kornfelder, Weinberge, Schafe und Kühe. Da freuten sich die Menschen, nun endlich am Ziel zu sein!

Soweit die Wassergeschichte von Mose. Viele Jahrhunderte später traf Jesus einmal an einem Brunnen eine Samariterin. Er bat sie um etwas Wasser, aber sie tat sich schwer damit. Das sagte Jesus zu ihr: „Wenn du wüsstest, wer es ist, der dich jetzt um Wasser bittet, dann hättest du ihn um Wasser gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. Wer das Wasser hier aus dem Brunnen trinkt, der wird bald wieder durstig. Wer aber vom Wasser des Lebens trinkt, das ich ihm geben werde, der wird nie mehr Durst haben.“

Einen guten alten schottischen Whisky zu trinken ist für Kenner ein schönes, wenn auch teures Vergnügen, und man muss es mit Ruhe und Muße tun.

Was aber hat das mit dem Lebenswasser von Mose und dem Wasser des Lebens bei Jesus zu tun?

Sehr viel, denn „Wasser des Lebens“ war für die Lateiner der Name für destillierten Alkohol. Im gälischen Sprachraum, zu dem Schottland gehört, wurde daraus „uisge beatha“. Daraus entstand im Laufe der Zeit das Wort WHISKY.

Whisky heißt also nichts anderes als „Wasser des Lebens“. Das Wasser des Lebens, das Christus uns gibt, ist im Gegensatz zum Whisky „kostenlos“, aber Gott hofft, dass es nicht „umsonst“ ist, wenn er uns dieses Wasser anbietet, denn es kann unsere Seele heil machen.

Das Wasser des Lebens ist Gottes Gegenwart, sein guter Geist, seine Güte und Freundlichkeit, die uns jeden Tag umgeben will.

In manchen irischen Bars soll ein Schild hängen, das einlädt auf ein Glas Whisky,  den Besucher aber ermahnt, daran zu denken, dass es noch ein anderes „Wasser des Lebens“ gibt…

Ein guter Rat, wie ich finde.

Amen.

 

Jubilate 2023

 Text:           Genesis 2, 1-4 i. A

Liebe Leserinnen und Leser,

in Berlin hat es am Donnerstag wieder einmal eine Wahl gegeben. Als Zyniker könnte man sagen, es sei keine Überraschung, dass es dabei wieder zunächst schiefgegangen sei: Obwohl die „große“ Koalition aus CDU und SPD eine Mehrheit im Senat hat, wurde ihr gemeinsamer Kandidat erst im dritten Wahlgang zum regierenden Bürgermeister gewählt. Mir steht noch deutlich ein Bild des Gewinners und der Gewinnerin vor Augen, des Bürgermeisters und seiner Stellvertreterin. Beide verkörperten darauf genau das Gegenteil von dem, was man ausdrücken möchte, wenn man sagt: „So seh’n Sieger aus…“ Ein verkniffenes Lächeln gab es, das den Wunsch auszudrücken schien, dass dieser Tag möglichst bald vorbei sein möge.

Ich beneide niemanden, der in eine solche Situation gerät. Das Bild der beiden hat sich bei mir vor allem deshalb verfestigt, weil ich denke, dass es in mancher Hinsicht dem Osterlachen der Christenheit ähnelt. Wir leben ja in der Nach-Osterzeit und begehen heute den Sonntag Jubilate. Das muss man nicht lange übersetzen, es bedeutet: jubelt, schreit eure Freude hinaus, zeigt eure Begeisterung.

In manchen katholischen Kirchen ist es üblich, dass der Priester zu Ostern einen Witz erzählt. Es wird dabei in der Kirche wenigstens einmal gelacht, das ist nicht schlecht, aber dass man Witze braucht, um die Fröhlichkeit des Oster-Glaubens zum Auszug zu bringen, ist eigentlich eher traurig.

Dabei es für uns Christen neben dem Osterglauben auch noch andere Dinge, über die wir uns freuen könnten, über die wir eigentlich jubeln müssten: Es vergeht kein Tag, in dem nicht über das Thema „Klima“ gesprochen wird. Ich halte das Thema für ausgesprochen wichtig, betrifft es doch nicht nur uns, sondern auch unsere Kinder und Enkel. Als Rentner bin ich in dieser Frage sowohl im politischen als auch im kirchlichen Bereich unterwegs. Das Ziel ist das gleiche, die Erhaltung und Bewahrung der Welt, aber während wir im politischen Bereich von der Umwelt reden, sprechen wir im kirchlichen Bereich von der Schöpfung. Wir tun dies, weil wir der Überzeugung sind, dass wir unser Leben Gott verdanken. Es geht um nichts weniger als um die Frage, ob wir ein Produkt des Zufalls sind oder ob wir von Gott gewollt sind.

Die Bibel, erzählt davon, dass Gott die Welt geschaffen habe und das alles, was er gemacht habe, im Ursprung sehr gut gewesen sei: das Licht und die Sterne, Sonne und Mond, das Meer, die Pflanzen und Tiere und nicht zuletzt der Mensch. Vom sechsten Tag, als auch die Tiere und der Mensch geschaffen wurden heißt es etwa:

Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

Die Menschen, die das niedergeschrieben haben, waren Gott offenbar sehr dankbar für sein Schöpfungswerk. Diese Dankbarkeit fehlt uns heute oft, weil viele Menschen nicht mehr an einen Schöpfer glauben. Als Christen glauben wir dagegen, dass wir von Gott gewollt sind. Es ist nicht entscheidend, wie das geschehen ist, sondern entscheidend ist allein die Tatsache, dass Gott uns als sein Gegenüber gewollt hat.

Aber zurück zum ersten Schöpfungsbericht. Man könnte meinen, die Erschaffung des Menschen sei der Höhepunkt der Schöpfung und damit sei sie nun beendet. Das erste Kapitel der Bibel endet auch tatsächlich an dieser Stelle. Aber damit ist die Schöpfung glücklicherweise noch nicht beendet. Im zweiten Kapitel der Bibel wird sie fortgesetzt mit den Worten:

 Am siebten Tag vollendete Gott seine Schöpfung und ruhte an diesem Tag aus von allen seinen Werken. Und Gott segnete und heiligte den siebten Tag, weil er an ihm von allem, was er geschaffen hatte, ausruhte.

Man mag sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn alle Tage unseres Lebens immer wieder gleich ablaufen würden. Ohne Unterbrechung und Veränderung wäre das Leben eintönig und leer. Ohne Sonntag gäbe es nur Werktage, einer wäre wie der andere. Eine schreckliche Vorstellung.

Dass der Sonntag ein wertvolles Geschenk ist, haben die Kirchen im Jahr 2007 folgendermaßen ausgedrückt:

„Der Sonntag ist ein wertvolles Geschenk für alle Menschen, Woche für Woche wiederkehrend, verlässlich wie Tag und Nacht, Abend und Morgen. Er gibt dem gesellschaftlichen Leben den notwendigen Zeitrhythmus. Leben ist mehr als kaufen und verkaufen, produzieren und konsumieren, leisten und schuften, daran erinnert uns der Sonntag. Er unterbricht den Alltag zum Ausspannen und Aufatmen. Er schafft freie Zeit und Freiraum für Muße und für die Fragen nach Grund und Perspektiven des Lebens und des Zusammenlebens.“

Unser Leben braucht Strukturen, braucht Abwechslung. Der Sonntag ist kein Gebot, das uns einengt, sonder er unterbricht den Alltag, um auszuspannen, um aufzuatmen, um aufzutanken. Er bedeutet einen Freiraum für Familie, Erholung, gemeinsames Erleben von freier Zeit und nicht zuletzt die Möglichkeit, über die wichtigen Fragen des Lebens nachzudenken.

Ein Spötter schrieb an den gläubigen Schriftleiter einer Tageszeitung:

„Geehrter Herr! Dieses Jahr habe ich einen beachtenswerten Versuch unternommen. Im Frühjahr habe ich jeden Sonntag gesät, anstatt in die Kirche zu gehen. Im Sommer habe ich jeden Sonntag auf dem Felde gearbeitet, und im Herbst jeden Sonntag geerntet. Meine Ernte ist wesentlich besser als die meiner Nachbarn, die jeden Sonntag in die Kirche liefen. Was sagen Sie dazu?“

Der Schriftleiter veröffentlichte den Brief und schrieb darüber: „Gott begleicht seine Rechnung nicht immer im Oktober.“[1]

Wie ist das gemeint? Sicher nicht so, dass Gott den Menschen am Ende für sein Tun bestrafen wird. Aber vielleicht so: Es kommt di Zeit, da wirst du merken, dass Arbeit und Profitstreben ohne Unterlass am Ende nicht glücklich macht, sondern krank. Der Spiegel veröffentlichet vor gut einer Woche ein Interview mit einem Finanzexperten unter der Überschrift: „Der reichste Mensch auf dem Friedhof? Das ist ein furchtbarer Lebensentwurf.“

Die Unterbrechung der Arbeit durch den Sonntag richtet sich dagegen, im Leben immer nur nach wirtschaftlichen Maßstäben zu handeln. Nicht Kaufen und Verkaufen, Produzieren und Konsumieren halten die Welt in Gang, sondern Gott und Menschen, die sich in Verantwortung vor ihm sehen und sich als seine Geschöpfe verstehen.

Nachdem Gott die Welt erschaffen hatte, gönnte selbst er sich eine Zeit der Ruhe. Und so darf es der Mensch auch handhaben. Im zweiten Buch der Bibel (Exodus 34, 21) heißt es:

„Sechs Tage sollst du arbeiten und alle dein Werke tun. Aber am siebten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht der Fremde, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht… und ruhte am siebten Tage.

Die sonntägliche Ruhe bringt uns zur Besinnung und macht uns deutlich, dass wir selbst bei ununterbrochener Leistung, wenn das überhaupt ginge, nicht alles erreichen könnten. Der Sonntag ist die freie Zeit, in der ein sonst immer tätiger Mensch zum Empfangenden werden kann, wo er sich von Gott beschenken lassen kann. Auch die Gemeinschaft in der Familie und unter Freunden ist ein solches Geschenk, das am besten gelingt, wenn möglichst alle einen gemeinsamen Tag der Arbeitsruhe haben. Der Sonntag ist also allemal ein Grund zum Jubilieren, zumindest aber zur Dankbarkeit.

Nun feiern Christen ja nicht den siebten Tag der Woche, sondern den Sonntag, nach christlichem Verständnis also den ersten Tag der Woche. Sie tun dies, weil an diesem Tag Christus vom Tod auferstanden ist. Damit ist für Christen die Zuversicht verbunden, dass der Tod nicht das letzte Wort in dieser Welt haben wird. In jedem sonntäglichen Gottesdienst werden wir an Ostern erinnert, den Neuanfang des Lebens durch die Auferstehung Jesu Christi. Jeder Sonntag, so sagt man, ist wie ein kleines Osterfest.

Die Stellung des Sonntags in der Gesellschaft ist im Schwinden. Die gesetzlichen Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes werden immer mehr abgeschwächt, oft werden sie durch mancherlei Tricks ausgehebelt. Die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen weichen den Sonntag in vielen Bereichen zusätzlich auf.

Der Predigttext lädt uns dazu ein, über die Gabe des Sonntags nachzudenken, darüber zu „jubeln“ und uns für den Erhalt des Sonntags einzusetzen.

Amen.

[1] Hoffsümmer, Kurzgeschichten